Schauspiel-Training: Immer in der Rolle bleiben

Ich starre auf das Wasserglas vor mir auf dem Tisch und versuche, meine Gesichtsmuskeln zu lockern. Beobachte die aufsteigenden Bläschen, glätte meine Stirn. „Verhalten Sie sich dem Glas gegenüber ganz neutral“, lautete der Auftrag von Coach Katharina Schubert. Zu diesem Zeitpunkt finde ich das kein bisschen albern. Die Schauspielerin sitzt vor mir und filmt mich mit dem Smartphone. „Also für mich sieht das so aus, als ob da jemand ganz ernsthaft überlegt, ober er das Gift trinken soll oder nicht.“ Ich bin bestürzt. So kommt also mein neutraler Ausdruck an? „Auf mich wirkt es, als sei das Glas irgendwie lästig“, wirft Serviceplan-Geschäftsführer Klaus Weise ein, der mich aus geringer Entfernung beobachtet.

Die Moral dieser kurzen Episode aus dem Coaching-Programm „Actors and Training“: Sich neutral zu verhalten ist unmöglich. Unser Körper spricht immer eine Sprache. „In jedem, der Sie anschaut, lösen Sie eine Geschichte aus – und hinterlassen eine Wirkung“, erklärt Schubert. Wie ich ein Stück weit die Regie über die Filme in den Köpfen der anderen beeinflussen kann, möchte ich an diesem heißen Sommertag in den Räumen der Hamburger Agentur lernen.

Bloß kein Theater!

Zu Beginn seiner Medien-Coachings wusste Agenturchef Weise immer, wie er die Teilnehmer beruhigen konnte: „Keine Sorge, Sie müssen nicht nervös sein. Wir machen hier kein Schauspiel-Training.“ Meistens sei dann die Anspannung aus den Mienen gewichen. Schauspielerei – das Schreckgespenst! Bis eines Tages jemand zurückgab: „Schade. Warum eigentlich nicht?“ Das gab Weise zu denken. „Schließlich kennt man ja inzwischen diese Diagramme, die besagen: Der Inhalt eines Vortrags zählt zwanzig Prozent, der große Kuchen besteht allerdings in Sympathie und Ausstrahlung.“ Für den PR-Mann war immer klar, dass Content zählt. Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los, dass er mit den Teilnehmern in Kameratrainings und Interviewsimulationen ausschließlich den „kleinen Kuchen“ trainierte. Die Idee, ergänzend ein Coaching für die Bühnensituation anzubieten, begann in ihm zu brodeln. In einem Sizilien-Urlaub mit dem befreundeten Schauspieler Michael Brandner nahm sie schließlich Gestalt an. Brandner bietet nun seit 2012 eine Persönlichkeitsanalyse an und stellt fest, wo Stärken und Schwächen der Teilnehmer liegen. Das Schauspiel-Training übernimmt dann Katharina Schubert, die neben der Schauspielerei auch eine Ausbildung zum Business-Coach vorzuweisen hat.

Nun sitzt Schubert neben mir, lächelt oft. Drückt sich präzise aus, ohne geziert zu wirken. Und bringt mich gleich in der ersten Übung aus dem Konzept –  mit einer eigentlich ziemlich simplen Frage: „Welches Gefühl möchten Sie in anderen Menschen auslösen?“ Ich öffne den Mund, daran gewöhnt, immer sofort zu antworten. Halte inne. Schustere mir etwas darüber zusammen, wie ich wirken möchte. „Das ist kein Gefühl“, sagt Schubert ruhig. Ich überlege, frage einigermaßen kläglich: „Sympathie?“ und komme mir ertappt vor.

Seltsam eigentlich. Wir verwenden so viel Zeit darauf, bei anderen gut anzukommen. Bestmöglich auszusehen, freundlich und witzig zu sein. Soll man aber konkretisieren, wohin man damit will, beginnt die große Grübelei.

Die Bühnensituation

Bevor ich mich selbst weiteren Übungen stelle, erkundige ich mich nach Negativbeispielen und den häufigsten Verfehlungen am Rednerpult. Die meisten Referenten fingen mit der Präsentation an, bevor sie richtig auf der Bühne angekommen seien, erklärt Schubert. „Da stehen sie dann, noch mit dem Rücken zum Publikum und überhasten ihren Einstieg. Dabei ist das doch eine Performance, die man zelebrieren muss!“ Auch kreisten bei vielen die Gedanken zu sehr darum, klug zu wirken. Der kommunikative Aspekt käme dabei zu kurz. „Was wollen Sie mit dem Vortrag erreichen?“, fragt Schubert ihre Klienten oft. Ginge es nur um die Inhalte, könnte man genauso gut Handouts zur Selbstlektüre verteilen und danach über offene Fragen sprechen.

Und was tun bei Lampenfieber? Ein Genuss ist die freie Rede schließlich nicht für jeden. Vor dem großen Auftritt empfiehlt Schubert Rituale. Das kann beispielsweise eine eigene Hymne sein, ein Lied, das man kurz vor dem Vortrag hört und das einen streckt und stark macht. Auch mit der richtigen Atmung ist oft schon geholfen. „Schließen Sie bevor es los geht die Augen und stellen Sie sich vor, Sie atmen Ihren Lieblingsduft ein“, lautet der Tipp der Schauspielerin. „Vor allem Frauen neigen dazu ganz hoch zu sprechen, wenn sie nervös sind, da hilft eine regelmäßige Bauch- und Flankenatmung. Die kann man trainieren.“ Wer so aufgeregt ist, dass er zittert, sollte Körper und Gesicht einmal komplett unter Spannung setzen und dann bewusst locker lassen, bevor er zu sprechen beginnt.

Die Schauspielerin Katharina Schubert, unter anderem bekannt aus dem Tatort, Donna Leon und der Serie Die Camper, hat zusätzlich eine Ausbildung zum Business-Coach abgeschlossen. (c) Julia Nimke

Die Schauspielerin Katharina Schubert, unter anderem bekannt aus dem Tatort, Donna Leon und der Serie Die Camper, hat zusätzlich eine Ausbildung zum Business-Coach abgeschlossen. (c) Julia Nimke

Und Action!

In den folgenden Stunden springe ich durch Katharina Schuberts Aufgabenkatalog. Ich spreche mit einem Korken zwischen den Zähnen, mache Stimmübungen, hechele wie ein Hund. Auf zwei Luftkissen balancierend simuliere ich beim Sprechen den wackeligen Stand. Manches fällt mir leicht, hin und wieder geht mir buchstäblich die Puste aus. Zum Beispiel, als ich laut bis hundert zählen und erst nach jedem Zwanzigerpaket neu Luft holen soll. „Es geht darum, sich zu konzentrieren“, fordert die Trainerin. „Eine Performance hat einen Anfang und ein Ende. Das ist wie beim Tauchen: Man hält die ganze Zeit über die Spannung und kommt erst dann zurück an die Oberfläche.“ Gar nicht so einfach für ein vernachlässigtes Zwerchfell – ich bin zumindest froh, mich auf dem Festland zu befinden.

Ein kleiner Softball prallt dumpf an meiner Schulter auf. Ich halte inne und suche den Text nach der verlorenen Zeile ab, um laut weiterzulesen. In der Rolle bleiben, darauf kommt es an. Immer wenn sich meine Augen wieder auf das Papier geheftet haben, wirft Schubert mir den Ball zu. Ich soll ihn fangen, dabei weiterlesen und ihn zurückwerfen. Soll meine Aufmerksamkeit nicht nur beim Text, sondern gleichzeitig auch beim Publikum verweilen lassen. Ich verdränge das aufkeimende Völkerballtrauma aus meiner Schulzeit und fahre mit der Aufgabe fort.

Auch unsere pressesprecher-Fotografin Julia Nimke, die das Geschehen bisher amüsiert durch die Linse beobachten konnte, wird plötzlich in eine Übung involviert. Während sie von ihrer Reise nach Kalifornien erzählt, stehe ich vor ihr und soll für sie gestikulieren. Ich untermale Sonnenuntergänge und Fahrten an der Küste entlang. Keine Gebärde kann zu groß sein, keine Bewegung zu ausschweifend. Schließlich geht es darum, sich etwas zu trauen, den Körper in Bewegung zu spüren.

Manager mit Clownsnase

Neugierig beobachte ich, welche Hilfsmittel Schubert aus ihrer großen Tasche zieht. Sie holt eine rote Schaumstoffkugel hervor. „Hier, eine Clownsnase – wenn man die aufsetzt und einen Vortrag übt, hat das einen Entfremdungseffekt. Funktioniert auch, wenn man im Schlafanzug präsentiert. Das kann Wunder wirken.“ Ob sich mancher Manager nicht weigern würde, im Coaching eine Clownsnase aufzusetzen, frage ich. Sie blickt mich verständnislos an. Plötzlich kann ich mir vorstellen, dass die Teilnehmer, egal wie alt, wie erfahren, einfach mitspielen.

Sind gestandene Firmenchefs und Kommunikatoren überhaupt noch formbar?, möchte ich wissen. Schubert schüttelt den Kopf. „Darum geht es nicht. Sie sollen offen sein, sich selbst bewusst werden und das Potenzial herausholen, was da ist. Der Geist lenkt den Körper.“ Dazu gehört es, sich selbst im Alltag zu beobachten, aktiv zu werden. Und auch nachzuhorchen, wie andere einen wahrnehmen.

Die Erfahrung, dass bei vielen Teilnehmern Selbst- und Fremdbild auseinanderklaffen, hat auch Klaus Weise gemacht. Für Coachings haben gerade Manager wenig Zeit, auch sehen sie oft keine Notwendigkeit dafür. „Viele sagen, ich kommuniziere den ganzen Tag, das ist meine Kernkompetenz, warum soll ich das trainieren?“, gibt Weise wieder. Noch immer herrsche in Deutschland die Mentalität, etwas zu üben, impliziere, man könne es nicht.

Weise grinst und erinnert sich an eine Anek­dote, in der er einen störrischen Firmenvorstand mit einer, wie er sagt, „etwas brachialen Methode“ vom Coaching überzeugte. Dessen Pressesprecher hatte ihm das Medien-Coaching nahe gelegt, doch der Chef winkte ab. Zusammen mit den Coaches schmiedete der Kommunikator daraufhin einen Plan. Als der Vorstand morgens sein Reihenhaus verließ, stürmten ihm ein Kamerateam und ein Rundfunk-Moderator entgegen: „Was sagen Sie zum Korruptionsskandal in Ihrer Firma?“, fragten die Komplizen. „Seine Gesichtszüge entgleisten“, erinnert sich Weise. Die Souveränität war verflogen. Im Büro klärte sein Sprecher ihn auf und zeigte ihm die unrühmlichen Bilder – eine goldene Brücke, um ihm das Training schmackhaft zu machen. Solche harten Bandagen kommen allerdings nur selten zum Einsatz. In den meisten Fällen entscheidet sich der Teilnehmer bewusst – und freiwillig.

Serviceplan-Geschäftsführer Klaus Weise entwickelte zusammen mit Schauspieler Michael Brandner die Idee, ein Schauspielcoaching für Manager anzubieten. (c) Julia Nimke

Serviceplan-Geschäftsführer Klaus Weise entwickelte zusammen mit Schauspieler Michael Brandner die Idee, ein Schauspielcoaching für Manager anzubieten. (c) Julia Nimke

Präsenz und Charisma

Aber kann man tatsächlich lernen, charismatisch zu sein? Ich habe Zweifel. Denke an ein Funkeln in den Augen, eine melodische Stimmfarbe, an das, was man esoterisch „Aura“ nennen könnte. „Natürlich kann man Charisma trainieren“, glaubt Schubert. Nur – im klassischen Sinne „einstudieren“ kann man es nicht. Das wichtigste sei, zuerst Bewusstsein über sich selbst zu schaffen: Wie fühle ich mich in verschiedenen Situationen an? Nur wer bei sich ist, hat Charisma, laute die goldene Regel. „Sie werden nie einem Menschen begegnen, der charismatisch und dabei nicht authentisch ist“, ist sich Schubert sicher.

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, Authentizität und Schauspielerei seien kaum in Einklang zu bringen. Die Vorbehalte kennt auch Schubert: „Schauspiel wird oft als etwas Äußerliches aufgefasst. Der Spieler, der vor dem Spiegel Gesten einübt.“ Das Wort „spielen“ widerstrebt ihr daher. Der englische Begriff „actor“, also „Handelnder“, sei da passender. „Ein guter Schauspieler verstellt sich nicht. Er holt einfach all das aus sich heraus, was da ist.“ Konzentration, Intuition, Stimme, Körpersprache – die Schlüsselqualifika­tionen des Schauspielers werden von innen trainiert. Nur, wer sich die Techniken wirklich einverleibt hat, kann sie auch im Stress abrufen. Der Bonus: Das Training ist amüsant und mit Leichtigkeit verbunden.

Auch eine Rolle sei nichts „Aufgesetztes“. Wenn sie nicht in einem steckt, wird sie einem niemand abnehmen. In unserem Alltag stecken wir in unzähligen sozialen Rollen, die alle bestimmte Facetten unseres Selbsts abbilden. Für unser professionelles Alter Ego ist es laut Schubert daher durchaus angemessen, in ein „Kostüm“ zu schlüpfen – ohne sich zu verkleiden. „Durch explizite Berufskleidung, die man beispielsweise zu einer Präsentation trägt, kann man Distanz schaffen“, erklärt die Schauspielerin. Das können schon Kleinigkeiten sein, wie ein bestimmter Schal, eine Krawatte – und ganz wichtig: Schuhe, schließlich tragen diese maßgeblich zur Haltung bei.

Keine Zaubertricks

Alles, was wir machen, hinterlässt eine Wirkung. Wie wichtig es ist, sich das bewusst zu machen, habe ich im Training noch einmal vor Augen geführt bekommen. Jeder kann sich eine Anleitung zu gezielter Körpersprache kaufen, sich verschiedene äußere Haltungen aneignen. Wenn diese jedoch nicht zum eigenen Selbst passen, wird das schnell entlarvt. Wir sind keine allzu geheimnisvollen Geschöpfe.

Welche Aufgaben Coach Katharina Schubert den Kandidaten in den Einzeltrainings stellt, kann sie vorher nie genau sagen. Sie beobachtet die Person zunächst, schafft ein Bewusstsein dafür, wo Hürden und Potenziale liegen. Gerade Kommunikatoren haben ein gesteigertes Interesse daran, Stimme und Körpersprache gezielt einzusetzen. „Die Furcht vor Kontrollverlust ist in der PR ein großes Thema. Selbst wenn man Zitate autorisieren kann, bei Körpersprache und Charisma funktioniert das natürlich nicht“, erklärt Klaus Weise.

„Es gibt viele harte Nüsse“, sagt Schubert. „Aber keine hoffnungslosen Fälle. Ich bin davon überzeugt, dass jeder auf seine Art und Weise lernen kann, sich charismatisch zu präsentieren. Sobald man sich eine innere Haltung zu eigen gemacht hat, lässt sie sich leicht auf den Körper übertragen“. Von heute auf morgen geht das natürlich nicht. Eine Klientin von Schubert hatte einmal das ambitionierte Ziel, alle Leute sollten begeistert aufschauen, wenn sie einen Raum betritt. „So etwas ist mit viel Arbeit verbunden. Oft stellen sich die Leute vor, ich könnte mit ihnen einfach eine kleine Wurzel vergraben und bei Vollmond dreimal darüber hüpfen. Aber man muss sich natürlich intensiv mit sich selbst beschäftigen und bereit sein, die Techniken zu lernen.“ Wie viel Kraft das kostet, wird mir erst bewusst, als ich schon wieder im Zug zurück nach Berlin sitze, das Training Revue passieren lasse und dabei die Wasserflasche vor mir versöhnlich anlächele.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Aus- und Weiterbildung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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